Inwieweit beeinflussen Erfahrungen demokratischer Handlungsfähigkeit im Betrieb die politischen Einstellungen der Beschäftigten in Ostdeutschland?
Diese Frage steht im Fokus der neuesten Studie der Otto Brenner Stiftung „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“. Anknüpfend an die Leipziger Autoritarismus Studie 2020, in der das Ausmaß und die demokratiepolitische Wirkung von Beteiligung, Anerkennung und Solidarität in der Arbeitswelt für Gesamtdeutschland untersucht wurde, ist dieser Zusammenhang in der aktuellen Studie erstmalig speziell für die ostdeutschen Bundesländer beleuchtet worden.
Im Vergleich zu Westdeutschland gibt es in der ostdeutschen Arbeitswelt immer noch einen Mangel an Tarifbindung und etablierter Mitbestimmungskultur. Bis heute sind die Anzahl der Betriebsräte, der gewerkschaftliche Organisationsgrad sowie die Löhne und Arbeitsbedingungen weit unter dem westdeutschen Niveau.
Für die Studie wurde in einer repräsentativen Befragung von gut 3.000 Beschäftigten in Ostdeutschland u.a. die demokratische Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz mittels vier Fragen erfasst. Erfreuliches Ergebnis ist, dass die Mehrheit der Befragten positive Beteiligungserfahrungen angibt: 58% fühlen sich bei Entscheidungen im Arbeitsalltag einbezogen, 67,8% denken, dass sich Probleme und Konflikte am besten gemeinsam mit Kolleg*innen lösen lassen, 51% sagen, dass sie etwas zum Positiven verändern können, wenn sie in ihrem Betrieb aktiv werden und 48,3% geben an, dass sie in ihrem Betrieb offen über Betriebsräte und Gewerkschaften sprechen können, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
Allerdings hat die Studie auch ergeben, dass knapp ein Fünftel der ostdeutschen Beschäftigten keine Möglichkeit sieht durch eigenes Engagement die Strukturen im Betrieb zum Positiven zu verändern und dass sich rund jede*r Siebte bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen fühlt. Auffällig ist, dass in Sachsen und Thüringen positive Erfahrungen von Handlungsfähigkeit noch weniger verbreitet sind, als in den anderen ostdeutschen Bundesländern.
Zudem wurde in dieser Studie erstmalig herausgearbeitet, dass institutionalisierte Formen der Mitbestimmung, wie Betriebsräte und Gewerkschaften die subjektiv erfahrene Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz erhöhen. So fühlen sich Befragte, deren Betrieb über einen Betriebsrat verfügt, bei Entscheidungen im Arbeitsalltag seltener übergangen (57,3% versus 61,1%) und gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte glauben öfter an Veränderungsmöglichkeiten als ihre nicht organisierten Kolleg*innen (61,6% versus 50%). Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Mitbestimmung und Beteiligung im Wirtschaftsleben die Zufriedenheit mit der Demokratie fördern und die Zustimmung zu rechtsextremen und menschenfeindlichen Aussagen verringern. Mitbestimmung und Beteiligung in der Arbeitswelt sind also ein direkter Einsatz für die Demokratie und stärken die Widerstandskraft einer Gesellschaft gegenüber autoritären Politikentwürfen.
Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung betont, dass „die Politik über den Ausbau der institutionellen Mitbestimmung in den Betrieben Beteiligungserfahrungen im Betrieb erleichtern kann“ und „Betriebsräte und Gewerkschaften gut beraten sind, aus den Möglichkeiten der Mitbestimmung noch stärker als bisher reale Beteiligungserfahrungen zu machen“.
Die Studie „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“ können Sie auf den Seiten der Otto Brenner Stiftung als PDF herunterladen.
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